Schuldenbremse: Rechnungsprüfer warnen vor „unkontrollierter Verschuldungsdynamik“ durch Finanzpaket

27 avril 2025

Der Bundesrechnungshof warnt vor fatalen Folgen des geplanten Finanzpakets von Union und SPD. Es drohe eine „unkontrollierte Verschuldungsdynamik“.

CDU-Chef Friedrich Merz ist für sein milliardenschweres Finanzpaket auf die Stimmen der Grünen angewiesen. Doch nicht nur die Grünen fordern Nachbesserungen, sondern auch der Bundesrechnungshof (BRH). Mit dem Milliardenpaket drohe eine „unkontrollierte Verschuldungsdynamik“, warnen Matthias Mähring, Leiter der Grundsatzabteilung des Bundesrechnungshofs, und Jan Keller, zuständig für Bundesfinanzen und Haushaltsrecht in ihrem Bericht an den Haushaltsausschuss, der der WirtschaftsWoche vorliegt. Der Bericht ist eine deutliche Abrechnung mit den Plänen von Union und SPD.

Die Experten haben die Vorhaben von Schwarz-Rot auseinandergenommen und sie gehen mit den Plänen von Union und SPD hart ins Gericht. Die Gesetzentwürfe für neue Schulden seien nur ein „kurzfristiger Ausweg“, um drängende Zukunftsfragen anzugehen. Der eigentlichen Herausforderung werde damit aber nicht begegnet. „Äußere Stärke muss mit innerer Stärke einhergehen“, mahnen Mähring und Keller. Der Schlüssel: langfristig tragfähige Bundesfinanzen. „Hierzu leisten die Gesetzentwürfe keinen Beitrag“, kritisieren sie.

Strukturelle Probleme könnten sich verschärfen
Vielmehr würden „die immer drängenderen Konsolidierungserfordernisse“ durch die Schwächung der Schuldenregel weiter hinausgeschoben. „Die strukturellen Probleme werden sich aber noch weiter verschärfen, je länger ihre Lösung hinausgezogen wird“, warnen die Experten. Der finanzielle Preis hoher Schulden wären langfristig steigende Zinsausgaben. Innerhalb von zehn Jahren würden sich die Zinskosten des Bundes auf rund 200 Milliarden Euro summieren – ein Vorgehen, das mit einem „volkswirtschaftlichen und sozialen Risiko“ verbunden sei.

Die im Finanzpaket geplanten Änderungen von Union und SPD
* Eine Lockerung der Schuldenbremse für höhere Verteidigungsausgaben
* Einen zusätzlichen Verschuldungsspielraum für die Länder
* Ein Sondervermögen für die Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro
* Schwarz-Rot will die Schuldenbremse so ändern, dass alle Verteidigungsausgaben, die ein Prozent des BIP übersteigen, nicht aus dem regulären Haushalt finanziert werden müssen, sondern über Kredite.

Grüne weiten den Sicherheitsbegriff aus
* Die Grünen setzen die Grenze für die Ausnahme von der Schuldenbremse bei 1,5 Prozent des BIP an.
* Gleichzeitig weiten sie den Sicherheitsbegriff aus – etwa auf Nachrichtendienste, Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten, internationale Friedenssicherung und den Schutz der Zivilbevölkerung.

Die FDP schlägt stattdessen eine Erhöhung des bestehenden Sondervermögens für die Bundeswehr von 100 auf 300 Milliarden Euro vor.

Rechnungshof warnt: Verschuldung „nach oben offen“
Der Bundesrechnungshof zweifelt nicht daran, dass „erhebliche Anstrengungen“ notwendig sind, um die Sicherheit Deutschlands als Kernaufgabe zu gewährleisten. Doch sowohl Schwarz-Rot als auch die Grünen würden Verschuldungen ermöglichen, die „nach oben offen“ seien. 

Das Problem beim Vorschlag von Union und SPD: Würden Schwarz-Rot zwei Prozent des BIPs als Verteidigungsschulden über Kredite finanzieren, um das mögliche neue 3-Prozent-Ziel der Nato zu erfüllen, stiege die Staatsverschuldung bis 2035 um über eine Billion Euro allein für die Verteidigung. Die jährliche Zinslast dafür beliefe sich auf 25 Milliarden Euro – ein Betrag, der dann beispielsweise für Bildung und Forschung fehlen würde.

Öffnung der Schuldenbremse könnte zu jährlicher Zinsbelastung in Höhe von 19 Milliarden Euro führen
Auch bei den Grünen sieht der Bundesrechnungshof Risiken: Würde die Schuldenbremse so gelockert, dass Verteidigungsausgaben erst ab 1,5 Prozent des BIP über Kredite finanziert würden, verlangsame sich zwar der Schuldenaufbau. Doch die Kredite würden sich nach zehn Jahren auf 780 Milliarden Euro summieren – mit einer zusätzlichen jährlichen Zinsbelastung von 19 Milliarden Euro. Trotzdem könnte die Idee am Ende noch teurer werden. Der erweiterte Sicherheitsbegriff der Grünen gäbe dem Bund „erhebliche Auslegungsspielräume“. Dann könnten nicht nur Verteidigungsausgaben, sondern auch Posten aus dem Auswärtigen Amt, Inneres, Entwicklungshilfe und allgemeiner Finanzverwaltung über Kredite finanziert werden.

Ökonomen wollen Konsolidierungsdruck auf den Bundeshaushalt erhalten
Dabei sei Sicherheit eine Kernaufgabe des Staates, die aus laufenden Einnahmen bestritten werden müsse. „Nur so können auch künftige Generationen eigene politische Prioritäten setzen und auf unvorhergesehene Krisen angemessen reagieren“, mahnt der Bundesrechnungshof. Er empfiehlt daher, die Verschuldungsgrenze höher anzusetzen. Verteidigungsausgaben sollten erst über Schulden finanziert werden dürfen, wenn sie mindestens zwei Prozent des BIP übersteigen. So bliebe der Konsolidierungsdruck auf den Bundeshaushalt in anderen Bereichen bestehen.

Auch das Sondervermögen für die Infrastruktur erntet Kritik
Noch besser findet der Rechnungshof den Vorschlag der FDP, das Sondervermögen für die Bundeswehr auf 300 Milliarden Euro zu erweitern. Nach dessen Auslaufen müssten die Verteidigungsausgaben wieder vollständig aus dem Kernhaushalt und im Rahmen der Schuldenregel finanziert werden – so positiv stehen die Experten allerdings nicht dem anderen Sondervermögen für die Infrastruktur gegenüber: 500 Milliarden Euro planen Union und SPD für einen Zeitraum von zehn Jahren ein. Keine gute Idee, meint der Bundesrechnungshof – aber nicht etwa, weil keine Investitionen notwendig sind.
Bund und Länder hätten Investitionen in die öffentliche Infrastruktur in den vergangenen Jahren tatsächlich vernachlässigt. Beispielsweise habe der Bundeshaushalt 2024 zu rund 90 Prozent aus konsumtiven Ausgaben bestanden, die aber „nur eine geringe Zukunftswirkung“ hätten. 

Schuldenbremse zwingt zur Priorisierung
Die Schuldenbremse zwinge vor diesem Hintergrund zur Priorisierung und zu „unbequemen Entscheidungen“. Durch ihre Lockerung entfiele dieser Druck. Es bestehe die Gefahr, dass notwendige Strukturreformen weiterhin aufgeschoben werden. Investitionen in die öffentliche, private oder unternehmerische Infrastruktur wirkten dagegen weit in die Zukunft. „Sie stiften auch gesamtgesellschaftlichen Nutzen, indem sie beispielsweise Arbeitsplätze sichern oder Wohnraum schaffen“, heißt es laut Wirtschaftswoche in dem Bericht: „Die Ausgaben des Bundes sollten daher deutlich stärker investiv ausgerichtet werden.“ Ein schuldenfinanziertes Sondervermögen sei dafür aber nicht geeignet – denn damit würden nur die Fehler wiederholt, die die Tragfähigkeit der Bundesfinanzen zuletzt ausgehöhlt hätten.

E-Auto-Prämie und Mütterrente: Experten kritisieren die „Wünsch Dir was“-Politik
Das Sondierungspapier zeigt schon jetzt die Ausgabenpläne von Schwarz-Rot. Diese reichen von E-Auto-Prämien über die Mütterrente bis zur Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie. Das alles sind Posten, die keinen Beitrag für Strukturreformen und bessere Infrastruktur leisten. Mit dem geplanten Sondervermögen besteht für Wirtschaftsexperten die Sorge, dass die Regierung einen „Verschiebebahnhof“ schafft: Ausgaben aus dem Kernhaushalt werden über das Sondervermögen bezahlt. Dadurch werden im Kernhaushalt Kreditmöglichkeiten frei, die für konsumtive Zwecke eingesetzt werden könnten – so lässt sich leicht die Schuldenbremse einhalten und zugleich „Wünsch Dir was“ spielen.

Rechnungshof fordert: Milliardenschwere Finanzpläne müssen angepasst werden
Der Bundesrechnungshof fordert Union und SPD deshalb auf, von ihren bisherigen Plänen Abstand zu nehmen. Sollten die Fraktionen trotz der Warnungen daran festhalten, dann aber nur mit entsprechenden Anpassungen. 

In den Gesetzentwurf müsse unbedingt das Wort „zusätzlich“ aufgenommen werden, um die Gefahr des „Verschiebebahnhofs“ zumindest zu minimieren. Der Formulierungsvorschlag: „Der Bund kann ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur mit einem Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro errichten.“ Ergänzend dazu müsse der Begriff der „Infrastruktur“ präzisiert werden – zugespitzt gesagt könnte sonst am Ende sogar eine Ausdehnung des Bürgergelds als Investition in die soziale Infrastruktur gewertet werden.

Länder bei Investitionen in die Infrastruktur in die Pflicht nehmen
Auch die Einbindung der Länder müsse besser als bisher garantiert werden. Sie sollen 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen erhalten, grüne Landesminister um den baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz hatten sogar 200 Milliarden Euro gefordert. Die Länder dürften ihre Investitionen nach einer Finanzspritze aus dem Bundeshaushalt aber nicht reduzieren, sondern müssten ihre eigenen Anstrengungen zumindest beibehalten oder sogar noch steigern, fordert der Bundesrechnungshof: „Es muss sichergestellt sein, dass unterm Strich mehr Investitionen getätigt werden.“